Vom Auftauchen und Verschwinden     

Instrumente und Elektronik –Virtuosentum und Technik

Ich habe am Anfang der Serie davon erzählt, dass der Beginn der bürgerlichen Musik vom Auftauchen neuer und Verschwinden alter Musikinstrumente geprägt war, bis sich die Kodifizierung der Orchester und der Ensembles mit einer spezifischen Aufstellung der Instrumente oder Instrumentengruppen etabliert hatte. Die neuen Instrumente waren aber nicht nur von neuen musikalischen Diskursen geprägt, sondern auch von den technischen Entwicklungen der Zeit. Die immer weiter ausgereifte Klappentechnik bei den Holzblasinstrumenten erlaubte die Konstruktion von immer tieferen Bass- und Kontrabassvarianten vor allem bei Klarinetten und Fagotten, aber auch bei Flöten. Ähnliches geschah bei den Blechblasinstrumenten, wo die elaborierte Ventiltechnik ein melodienreicheres, chromatisches Spielen erlaubte.

Das hatte seine Auswirkungen auf das virtuose Spiel selbst. Spieltechnik und Bautechnik schaukelten einander gegenseitig hoch. Die Entwickung und Perfektion beim Instrumentenbau aber erlaubte es, den Forderungen der Komponisten nach bestimmten Instrumenten mit bestimmten Kängen nachzukommen. So wurde auf Wunsch und Anregung Richard Wagners die so genannte Wagnertuba gebaut – eigentlich ein Waldhorn mit veränderter Bauart und daher mit neuem Klang. Aber auch umgekehrt entstanden Instrumente: Das Zeitalter der großen Erfinder ließ auch den Instrumentenbau nicht unberührt und so finden wir eine Person wie Adolphe Sax (1814-1894), der seine Instrumente zunächst nicht auf Auftrag entwickelte, sondern aus eigenem Antrieb und erst dadurch Aufträge der französischen Militärmusik, aber auch Giuseppe Verdis erhielt.

War aber erst der Instrumentenbau an die Entwicklung und Perfektionierung der jeweils angewandten Technologie gebunden, dann mussten neue Technologien neue Instrumente mit notwendiger Konsequenz hervorbringen. Der Einbruch der Elektrizität in den bürgerlichen Alltag veränderte auch das Verhältnis zur Musik. Nicht nur, dass Radios und Phonographen (also Schallplattenspieler beziehungsweise deren Vorläufer) die Hörgewohnheiten veränderten, das Mikrophon wenigstens in der Unterhaltungsmusik zu neuen Singtechniken und Gesangsstilen führte; es stellte sich mit zwingender Logik auch die Frage, ob nicht neben die drei fundamentalen Instrumente (die gespannte Saite, die hohle angeblasene Röhre, der angeschlagene Resonanzkörper) ein viertes treten sollte, das  elektromagnetische Feld und seine verstärkten Schwingungen.

Das Theremin – die Erfindung des Russen Lew Sergejewitsch Termen, in den USA Leon Theremin, dann wieder in der UdSSR (1896-1993) –, die Hammondorgel – gebaut von Laurens Hammond (1895-1973) – und der Moog-Synthesizer – Robert Arthur Moog (1934-2005) – hatten mit verschieden erfolgreichen Durchsetzungsgeschichten ihren Einfluss auf die populare und akademische Musik des 20. Jahrhunderts. Daneben wurde die Frage aber radikaler gestellt: Wäre es nicht möglich, vielleicht das ganze Orchester durch elektronisch generierten Klang zu ersetzen? Und mit ihm die Komponistinnen? In der Popularmusik war diese Musik etwas häufiger als in der akademischen zu hören, aber auch nur in reduzierter Anwendung. Synthetisierte Schlagzeuge, der Melodie auf dem Keyboard unterlegte Orchesterarrangements, Basscomputer und ähnliche Hybridinstrumente kamen zur Anwendung, aber die konsequente Anwendung von Musik, die durch Computer komponiert und wiedergegeben wird, ist selten zu hören – und wenn, dann eher in Zusammenhängen von Installationen, also nicht unbedingt rein musikalisch.

Ich glaube, dass der reinen Logik, Musik auf der Höhe der Technolgie generieren zu lassen, menschliche eitle Existenz entgegensteht. KomponistInnen und VirtuosInnen wollen noch immer ihre Meisterschaft an ihrer eigenen Person auch sichtbar beweisen. Das vierte elementare Musikinstrument ist unter diesen Voraussetzungen nicht im Stande, das ganze bisherige Instrumentarium überflüssig zu machen, auch wenn die wissenschaftliche Logik dies ermöglichen könnte (vielleicht mag der eine oder die andere daraus Konsequenzen ziehen für die Diskussion der Genmanipulationen, auch in ihrer medizinischen Anwendung). So bleibt die virtuose Integration dieser neuen Möglichkeiten an die Ausführenden wie Komponierenden gebunden. Wir kennen den souveränen Umgang mit den elektrischen Möglichkeiten von Jimi Hendrix (für mich Sir James Hendrix),  aber auch von so schönen Orchesterkonzerten wie „trapos/Catwalk en Guantánamo“ von Jorge Sánchez-Chiong, bei dem die Soloinstrumente ein Kontrabass und ein Turntable sind – und der Turntablist muss klarerweise einer der besten seines Fachs sein.

KomponistInnen wie MusikerInnen wollen also nicht in der neuen Technologie verschwinden, sondern sie für sich und ihr Virtuosentum nutzbar und herzeigbar machen. Was bedeutet das nun für die traditionellen Instrumente? Vor allem eine Ausweitung der Spieltechniken: Haben Virtuosen wie Liszt oder Paganini im 19. Jahrhundert ihr Instrument an die äußerste Grenze spieltechnischer Möglichkeiten geführt (etwas, das wir von Schlagzeugern der Pop- und Rockmusik kennen, die die Zahl der beats per minute immer wieder zu steigern suchen), so werden heute die Klänge und Geräusche, die mit Hilfe einer Geige, eines Saxophons oder einer Orgel hervorgebracht werden, diese Grenze einfach überschreiten. Was erlaubt das Instrument jenseits traditioneller Spielweise? Neben das „wohltemperirte Clavier“ Bachs (seinerzeit schon eine technologische Innovation, bezogen auf die Stimmung, nicht die Bauart) tritt also das präparierte Klavier Cages, dessen Saiten auch gezupft werden können (oder gar nicht angespielt).